Begleitungsbericht
Ein Bericht, den eine Ehrenamtliche im Anschluss an ihren ersten Besuch bei einem Patienten geschrieben hat, soll Ihnen einen Eindruck zu geben, wie die Begleitung von Sterbenden in der Praxis sein kann. Der Patient Herr K. war an einem Lungenemphysem im Endstadium erkrankt.
Dezember … starker Wind … Schneeregen … Temperaturen um den Gefrierpunkt …
Mit mulmigem Gefühl drücke ich den Klingelknopf. Stille, keine Schritte hinter der Tür … 2 Minuten vergehen … ich meine, ein undefinierbares Geräusch aus dem Haus gehört zu haben, lausche nach … wieder nichts …
Gedanken gehen mir durch den Kopf: Ist er zu schwach zum Aufstehen? Ist er nicht da? Ist er vielleicht schon gestorben und niemand hat mich informiert? Ich beschließe, nicht noch einmal zu klingeln, weil ich erahne, dass Luftnot keinen weiteren Druck verträgt. Ich rufe an. Er japst in mein Ohr: „Haben Sie mich nicht rufen hören? Ich bin unterwegs zur Tür, brauche noch etwas!“
Kurz danach öffnet sich die Tür. Zögerlich trete ich in den Flur, schaue nach links und sehe ihn. Er liegt auf dem Bett, stöhnt, ringt nach Luft, reagiert auf mein „Hallo“ mit einem kurzen Winken.
Dünne Plastikschläuche, der eine grün, der andere durchsichtig, führen von je einem silbrig glänzenden Gasgerät am Bett und im Wohnzimmer zu seinem Körper, hinauf zu den Ohren und von dort zu Mund und Nase. Nach einigen Minuten ruft er mir zu, das Gasgerät im Wohnzimmer auf 15l zu drehen, ich drehe … die Sauerstoffmenge wirkt endlich und er bittet mich, ihn mit dem Toilettenstuhl ins Wohnzimmer zu fahren, einen Rollstuhl gibt es nicht …
Im Wohnzimmer angekommen, wuchtet er sich irgendwie auf sein Sofa. Weiteres Atemringen, Husten, Stöhnen … ich setze mich, warte, versuche, Ruhe auszustrahlen, er wird ruhiger, fragt schließlich, ob ich für uns einen Tee kochen möchte.
Später sitzen wir zusammen bei „Winterzauber-Tee“ mit Honig, reden, lachen bisweilen sogar … da sitzt er, sehr dünn, große wache Augen hinter einer zu groß gewordenen dickrandigen Brille, jung und gleichzeitig greisenhaft wirkt er … irgendwie geschrumpft. Obwohl ich ihn nicht kenne, entsteht rasch ein recht klares Bild vor meinem inneren Auge, wie er vor seiner Erkrankung ausgesehen haben mag.
Viele Dinge höre ich an diesem Nachmittag über die Krankheit, seine kleine Tochter, die schnelle Hochzeit vor einer Woche, familiäre Konflikte, Verluste von Freunden und Lebensqualität. Ich höre Enttäuschung, Traurigkeit und Resignation, aber auch positives und auch sein feiner Humor schwingen manchmal mit. Er zeigt mir seinen Karton mit Medikamenten, zweifelt, ob es gut ist, so viel Chemie einzunehmen … Ich ermutige ihn, dass sicherlich alles gut ist, was sein Befinden verbessert. „Naja, es ist zwar sowieso nur noch zur Behandlung der Symptome, aber die Morphine sind schon klasse!“, sagt er daraufhin, seit der die nähme, sei alles so viel besser geworden. Vor 3 Wochen habe er noch gedacht, es sei zu Ende, er habe auch nicht mehr weiter gekonnt …, „Aber jetzt glaube ich, dass ich noch ein Weilchen durchhalte.“, … leise Hoffnung schwingt mit …
Dies ist meine erste ’richtige’ Begleitung, ich spüre meine Unerfahrenheit ganz stark, versuche, mich auf die Gesprächsführung zu konzentrieren. Zurückhalten, Zuhören, nicht wertend kommentieren, so leicht und doch so sehr schwer in Anbetracht der besonderen Situation …
Ein Blick auf die Uhr … 2 Stunden sind vergangen, die Zeit ist geflogen …
Nach diesem Erstkontakt habe ich Herrn K. wöchentlich besucht und zusammen mit den Palliativschwestern bis zu seinem Tod begleitet. Die Palliativschwestern versuchten in erster Linie, die mit der Krankheit einhergehenden körperlichen Symptome, vor allem seine belastende Luftnot, zu lindern und waren Ansprechpartnerinnen für seine Mutter, die ihn in den letzten Monaten rund um die Uhr gepflegt hat. Frau K. wusste, dass sie sie in Notsituationen Tag und Nacht erreichen konnte.
Für ihn war ich, wie er es nannte, ‘die Frau für erbauliche Gespräche‘. In den ersten Wochen sprachen wir viel miteinander im wahrsten Sinne des Wortes über ‘Gott und die Welt‘. Mit zunehmender Schwäche trat die Bedeutung von Worten dann immer mehr in den Hintergrund und es wurde wichtiger, einfach DA zu sein, Körperkontakt zu halten. Die Besuche wurden ruhiger, leiser, bis hin zu langen, stummen Begegnungen des am-Bett-Sitzens und Hände-Streichelns.
Es war ihm immens wichtig, sein Leben bis zu dessen Ende unter Kontrolle zu behalten und in seiner vertrauten Umgebung bleiben zu können. Beide, Mutter und Sohn, haben die Palliativschwestern und mich auf vielfältige Art und Weise wissen lassen, dass sie unsere Unterstützung und Zuwendung als sehr hilfreich empfunden haben.
Herr K. ist im Juni 2012 im Alter von 42 Jahren Zuhause, so wie er es wollte, gestorben.